Aus dem Roman „Das Tagebuch der Emilie Mayer, Componistin“

Friedland September 1840
Ein Schuss! Nur ein Schuss!
Alles endet, alles beginnt mit einem Schuss, mit Blut, Gehirn, Tod. Der Geruch, die Farben!
Die Tränen laufen mir übers Gesicht.
Mir zittert die Hand, kann die Feder kaum halten, kleckse rund ums Tintenfass!
Ein Schuss und alles, alles anders!
Und da sind fragende Gesichter, gaffende Münder, lüsterne Blicke: und jetzt? Das fragen sie alle,
die lieben Nachbarn.
Ja, jetzt was?
Es beginnt für mich mit einem Schuss? Warum das Vater?
Du hast alles so klug geregelt, Vater! Warum jetzt das?
Wilhelm, ist voll Schrecken! Berta – die zarte junge Verlobte – weint. Beide fragen, ob wohl noch jemand in die Apotheke kommt, in die Apotheke eines Selbstmörders! Ihre Zukunft hängt davon ab.
Er war süchtig, sagen einige; er war verrückt, sagen andere. Er wollt nicht mehr allein ohne Frau leben, versuchen einige zu verstehen.
Warum das Vater? Weil ich gehen will? Nein! Du hast es mir doch selbst geraten: „Emmie, hier in Friedland kannst Du Deinen Traum nicht verwirklichen und Komponistin werden! Geh hinaus, geh nach Stettin!“ Seit fünf Jahren, seitdem August dort seine Apotheke hat und den Kompositionslehrer Loewe kennenlernte, uns von ihm erzählte und von ihm als einem bedeutsamen Manne schwärmte, seitdem sagtest Du Vater, dort solle ich lernen und meinen Traum erfüllen!
Berta wäre dir doch eine ebenso gute Hilfe im Haushalt, wie ich es bisher war. Es war alles so froh gestimmt und geplant. Was hast Du getan? Nun kommst Du außerhalb des Friedhofs zu liegen. Vater!
Kann ich denn jetzt gehen? Jetzt, wo sie tratschen, dass ich den Vater verlassen will, um was Besseres zu werden und was Verrücktes, Komponistin!
Warum das, Vater?